Vor ein paar Jahren nahm eine mich besuchende junge Dame ein altes Bild vom Tisch und fragte:
„Tante, kann ich einen Radiergummi haben?“
„Nein.“
„Aber...“
„Nein. Das bleibt wie es ist. Für mich ist es genau so super. In ein paar Jahren verstehst du das vielleicht.“
Sie stellte widerstrebend und ärgerlich seufzend den Bilderrahmen zurück, in dem über einer Kinderzeichnung steht: Die tolste Tant der Welt.
Das mit der Perfektion, das habe ich feierlich aufgegeben. Ich lächle
mitleidig, wenn jemand meine Zähne bleichen will, stopfe Socken und habe
meiner Angst vor Tippfehlern die Zusammenarbeit gekündigt. Ich komme
ohne Gesichtscreme durch eine den Winter, die meine Falten zu glätten
oder Altersflecke aufzuhellen gedenkt. Die bleiben auch so, wie sie
sind. Oder werden tiefer. Wachstum wird doch überall gefordert!
Wir versuchen unser Leben en naturel wie gephotoshopt vorzuführen -
jeder Gedanke & jede Hautzelle makellos. Dabei sind allenfalls
Plastik und der Tod perfekt, doch wer will schon zu Lebzeiten tot oder
plastiniert sein? Das Fehlerhafte birgt einen Reiz, den Kunststoff und
Photoshop nicht erreichen. Perfektion ist eine Fiktion. Dabei liegt der
Reiz von Dingen so oft in Abweichungen, Eigenwilligkeiten und
Unzulänglichkeiten. Gelegentlich ist das Gute besser für uns als das
Beste.
Autorin:
Helga Christina Pregesbauer: Texte & Ghostwriting, Lesungstraining für Autor/inn/en: http://www.wortflechte.com/
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